Digitalisierung des Gesundheitswesens

Chris Berger - Referent Politik - Bundesverband Gesundheits-IT - bvitg e.V.

 

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems rückt die Patienten in den Mittelpunkt der Versorgung

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems führt aktuell von einer Veränderung einzelner Versorgungsprozesse bis hin zur grundlegenden Transformation der Versorgung selbst: u. a. Aufhebung der Sektorengrenzen, individualisierte Behandlung oder Präzisionsmedizin. Im Mittelpunkt steht dabei der Patient, der von einer passiven Teilnahme im Gesundheitssystem nunmehr ins Zentrum der Versorgung rückt und durch die Frei- und Weitergabe seiner Daten aktiv die eigene Behandlung steuert.


Herzstück der Digitalisierung des Gesundheitssystems ist die Telematikinfrastruktur die als zentrale Infrastruktur und Datenautobahn zur Vernetzung der Leistungserbringer und als Grundlage für weiter digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte dienen soll. Bis Januar 2019 sollen alle Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung an die TI angeschlossen werden. Damit die sektorübergreifende Kommunikation zwischen den niedergelassenen Vertragsärzten im ambulanten Bereich, den stationären Bereich sowie Plfege- und Rehabilitierungseinrichtungen sichergestellt ist, müssen nun alle anderen Leistungserbringer an die TI rasch angebunden werden und die Finanzierung für die Nutzung und Anbindung zu klären. So können in Zukunft Leistungserbringer sektorübergreifend kommunizieren und Datensätze wie medizinische Befunde, Arztbriefe oder Laborwerte über die elektronische Patientenakte ausgetauscht werden.


Die Erhebung, Nutzung und Auswertung von Gesundheits- und Sozialdaten verbessert die Versorgung in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen. Big Data Anwendungen liefern z.B. neue Ansätze für die Versorgung und Forschung. Bei den Herausforderungen zur Bekämpfung von chronischen Krankheiten wie Demenz, Krebs sowie bei Multimorbiditäten bieten Big Data Anwendungen die Möglichkeit, Behandlungen schneller und individuell passender für den Patienten zu gestalten. Zusätzlich wird durch die intelligente Echtzeit Auswertung von Gesundheitsdaten weitere Evidenz für die Versorgungsforschung geschaffen.


Elektronische Patientenakte stärkt Patientensouveränität

Einrichtungs- und fallübergreifende elektronische Patientenakten (ePA) sind ein zentraler Baustein der digitalen Gesundheitsversorgung. Die Vorteile einer solchen Akte liegen klar auf der Hand. Zum einen ermöglicht sie eine patientenzentrierte Versorgung und zum anderen stärkt sie die Souveränität der Bürger, da diese selbst Zugriff und Einsicht auf ihre Gesundheits- und Krankheitsdaten haben und entscheiden, wer wann Zugriff auf ihre Daten erhält. Unnötige Doppeluntersuchungen, Behandlungs- und Diagnosefehler können in Zukunft so reduziert werden. Zudem ist das Potential die Versorgungsforschung durch die Schaffung von Evidenz in der Bekämpfung von Multimorbidität und chronischen Erkrankungen zu stärken enorm. Patienten erhalten so z.B. die Möglichkeit ihre Daten, zweckgebunden per „Datenspende“ frei verfügbar für die Versorgungsforschung zu stellen.


Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) mit der Verpflichtung alle Krankenkassen der gesetzlichen Versicherung zur Bereitstellung einer Akte ihrer Versicherten bis 2021 einen weiteren wichtigen Baustein zur Implementierung.

Ziel sollte es sein, dass Versicherte einen ständigen Zugriff über mobile Endgeräte auf ihre Behandlungsdaten haben und diese auch entsprechend den Leistungserbringern einrichtungsübergreifend zur Verfügung stellen können. Um Innovation in diesem Bereich sicherzustellen sollte vor allem der freie und faire Wettbewerb aller Aktenanbieter sichergestellt sein - nur so hat der Patient eine echte Wahlfreiheit. Wichtig dabei ist, dass die Dokumente die in der Akte bereitgestellt werden nicht reine PDF Dokumente sind, sondern maschinenlesbare Dokumente die

strukturierte Daten zur Verfügung stellen. So können auf Basis dieser bereitgestellten Daten weitere digitale Anwendungen auf den ePAs wie ein Schmerz- oder Diabetestagebuch, ein Impfpass, Mutterpass oder Organspendeausweis zur Verfügung gestellt werden. Diese können dann im Idealfall auch grenzüberschreitend im europäischen digitalen Binnenmarkt genutzt werden.


Die Einführung einer Akte in das deutsche Gesundheitssystem ist jedoch keine reine Frage der technischen Umsetzung, - sondern sie ist eng verknüpft mit vitalen Fragen zu: Datenstruktur, Finanzierung, Standards und Zertifizierungen, Wettbewerb Datenhoheit sowie der technischen und semantischen Interoperabilität und der IT-Sicherheit. Diese Fragen müssen gemeinsam mit den medizinischen Fachgesellschaften, internationalen Standardisierungsorganisationen und Vertretern der Wissenschaft und Wirtschaft erarbeitet werden.

 

Telemedizin: Ein Schritt Richtung patientenorientierte Versorgung

Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots auf dem deutschen Ärztetag in Erfurt war ein längst überfälliger Schritt. Telemedizinische Anwendungen und Onlinekonsultation von Ärztinnen und Ärzten ermöglichen im Zuge des demographischen Wandels eine flächendeckende, sektorübergreifende Gesundheitsversorgung. Die digitale Realität, die in anderen Bereichen bereits zum Alltag gehört, kann so auch in die Versorgung Einzug halten. Damit telemedizinische Leistungen so schnell wie möglich integraler Bestandteil der Versorgung werden, gilt es nun finanzielle Anreize zur Nutzung für zu schaffen. Ein Verbot zu lockern reicht alleine nicht aus, ist aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nun liegt es an den Landesärztekammern ihre Musterberufsordnung dementsprechend anzupassen.   


Bis vor kurzen war es Ärztinnen und Ärzten laut Musterberufsordnung untersagt, beim Erstkontakt mit Patienten individuelle ärztliche Behandlungen ausschließlich über telemedizinischen Verfahren abzuwickeln. 2017 lockerten die Ärzte in Baden-Württemberg erstmals das Fernbehandlungsverbot für Modellprojekte, da dort die Patienten zunehmend auf telemedizinische Leistungen in der Schweiz auswichen. Mit der Entscheidung der Ärztekammer kann nun auch die Erstdiagnose wie Krankschreibungen, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) oder Arzneiverordnungen per Video-Chat oder Smartphone erfolgen.