Intro - Die zukünftige Rolle des Handels für Stadt, Land und Gesellschaft
Prof. Dr. Gerrit Heinemann - Professor für BWL, Management und Handel sowie Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein
Inhalt
Die zukünftige Rolle des Handels für Stadt, Land und Gesellschaft
Mit rund 512 Mrd. Euro Umsatz in 2017 und knapp 3 Millionen Beschäftigten stellt der Einzelhandel die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland dar. Diese nimmt aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Versorgungsfunktion für die Stadt, Land und Gesellschaft eine Schlüsselstellung ein. Aktuellen Studien zufolge hat sich hier aus Verbrauchersicht das Angebot in den letzten Jahren jedoch zunehmend verschlechtert. Verantwortlich machen die Kunden dafür unter anderem große Handelsketten und Dienstleister, die die Angebotsvielfalt beeinträchtigen würden. Sie finden es mehrheitlich schade, dass kleine Läden von den Großen verdrängt werden, und sind der Meinung, dass sich die Politik stärker mit der Verödung der Innenstädte befassen müsste. So finden an der Nahtstelle zwischen Produzent und Verbrauchern Entwicklungen statt, welche die bisherige Rolle des Handels dramatisch verändern. Hatte der Einzelhandel bisher überwiegend Distributionsaufgaben zu bewältigen, die darin bestanden, produzierte wirtschaftliche Güter vom Hersteller in den Verfügungsbereich des Konsumenten zu bringen, wird der ursprüngliche Stellenwert des Handels zunehmend in Frage gestellt. Dementsprechend ist in den letzten Jahren im Handelssektor wie in kaum einem anderen Wirtschaftssektor eine extreme Dynamik zu beobachten, die zu disruptiven Veränderungen der Handelsstrukturen führt und die Rolle des Handels für Stadt, Land und Gesellschaft dramatisch verändert. Die neuen treibenden Kräfte dieser Handelsdynamik lassen sich in technologische, nachfragebezogene, demografische, marktbezogene und gesellschaftliche Entwicklungen kategorisieren (Boersma 2016; Bruhn und Heinemann 2013; HDE 2018; Initiative 2018; Heinemann 2018a).
Technologische Entwicklungen und Digitalisierung
Zu den technologischen Entwicklungen zählen insbesondere der mit dem Internet einhergehende technologische Fortschritt sowie die damit verbundene Digitalisierung des Handels, die mit der Internet-Penetration einhergeht. Nicht zuletzt seit Gründung des Online-Handels vor rund 25 Jahren führen die elektronischen Märkte aufgrund der hohen Transparenz sowie ausgeprägten Informationsdichte zu einem Abbau von Wechselbarrieren und damit zu einer zunehmenden Marktmacht der Nachfrager. Dem gegenüber stehen vielfältige Wege, die Kunden durch das Internet interaktiv und erlebnisorientiert in den Wertschöpfungsprozess einzubeziehen und eine Informationsbereitstellung sowohl in zeitlicher, räumlicher und sprachlicher Hinsicht zu vereinfachen. Hat bereits die Entwicklung zum Online-Shopping den Marktanteil des interaktiven Distanzhandels auf über 10 Prozent am gesamten Einzelhandel und rund 20 Prozent im Non-Food-Handel hochschnellen lassen, besteht heute die Möglichkeit, über Handys, Smartphones und sonstige mobile Endgeräte ortsungebunden Produkte und Leistungen zu beziehen. Der Anteil der mobilen Internetnutzung wächst überproportional und liegt bereits bei mehr als 55 Prozent an der gesamten Internetnutzung. Dieser Anstieg geht einher mit einer Rollenveränderung der neuen Medien und neuen Kanäle. Eine sinnvolle Klassifizierung der einzelnen Instrumente des elektronischen und mobilen Handels gewinnt daher stetig an Bedeutung. Als nächste Entwicklungsstufe gelten diesbezüglich neue Devices wie zum Beispiel dem Alex/Echo von Amazon oder Google Plus, die den Voice Commerce über Sprachfunktion befeuern. Eine Schlüsselstellung in der technologischen Entwicklung des Handels kommt den intelligenten Systemen im Frontend und Backend zu. Diese ermöglicht eine lückenlose Vernetzung innerhalb der Supply-Chain, die bis zur Kundenlieferung eine zentrale Brückenfunktion zur Nachfrageseite ausübt. Nur durch sie ist eine Automatisierung der Prozesse sicherzustellen, durch welche die sich verändernden Kundenerwartungen erfüllt werden können. Dieses gilt auch für beratende Funktionen, bei denen KI (Künstliche Intelligenz) zunehmend Einzug hält. Die Kombination aus technologischem Fortschritt einerseits sowie Nutzung der neuen Technologien durch die Kunden andererseits führt zu veränderten Anforderungen der Kunden an den Handel. Im Zuge der sich daraus ergebenden, fortschreitenden Digitalisierung des Handels zeichnet sich ab, dass in den kommenden Jahren in Deutschland der Verkauf über den Online-Handel und dabei vor allem über den mobilen Online-Kanal weiter boomen wird. Das anhaltende Online-Wachstum wird insofern bei insgesamt stagnierenden Einzelhandelsumsätzen zu massiven Umsatzverlusten auf den stationären Einzelhandelsflächen führen und die Handelsstrukturen dramatisch verändern (bevh 2018; Bruhn und Heinemann 2013; HDE 2017; Heinemann et. al. 2016; Heinemann 2017; Heinemann 2018a).
Nachfragebezogenen Entwicklungen und Urbanisierung
Zu den bedeutenden Entwicklungen auf der Nachfrageseite zählen zunächst die Nutzung der neuen Technologien, die daraus erwachsenden steigenden Ansprüche an den Handel sowie die weiter fortschreitende Urbanisierung. Vor allem die weiter zunehmende Internetnutzung geht mit einer zunehmenden Informiertheit und Emanzipation der Kunden einher. Steigende Mobilität, neue Convenience-Orientierung, Smart-Shopping und Mitgliedschaften in sozialen Netzen sind Bestandteil der nachfragerelevanten Entwicklungen. Die neue Convenience-Orientierung äußert sich z.B. darin, zunehmend alles nur noch Online zu kaufen („Amazon Commerce“) und dabei Mindestanforderungen an die Usability und den Lieferservice auf Online-Seite zu stellen. Zugleich erschwert die Urbanisierung es aber, einen funktionierenden Lieferservice sicherzustellen. Innerhalb der EU gibt es bereits 26 Millionenstädte und in Deutschland leben fast 50 Prozent der Menschen in den sechs Ballungsgebieten Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Berlin-Brandenburg, München, Stuttgart und Hamburg. Diese Entwicklung führt auch zu massiver wirtschaftlicher Konzentration. Auch wenn europäische Metropolregionen nicht mit den Mega-Cities Asiens vergleichbar sind, so sollte uns doch bewusst sein, dass eine moderne Daseinsvorsorge auf Basis mitteleuropäischer Standards enorme Herausforderungen mit sich bringt. Sie kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn umfassende urbane Entwicklungskonzepte entwickelt wurden, in denen Ver- bzw. Entsorgung, Flächennutzung, Mobilität und Lebensqualität gleichermaßen berücksichtigt sind. Die Logistikbranche steht hier besonders im Fokus: Hohe E-Commerce-Wachstumsraten sowie zunehmend lagerlose und flexible Einzelhandelskonzepte führen zu mehr innerstädtischem Lieferverkehr, der mit dem ebenfalls wachsenden Individual- und öffentlichen Verkehr zunehmend um knappe Verkehrsflächen konkurriert. Die mit dieser Urbanisierung einhergehende Verdichtung von immer mehr Leben und Arbeit auf immer weniger Raum stellt das Management von Metropolregionen vor große Herausforderungen. Die räumlich begrenzte Verkehrsinfrastruktur in den Städten ist nicht mehr in der Lage, den wachsenden Personen- und Wirtschaftsverkehr aufzunehmen. Hohe Verkehrsbelastung auf engem Raum führt zu Dauerstau und Überfüllung sowie Lärm, Licht- und Luftverschmutzung. Ressourcenkonflikte zwischen ÖPNV, Individual- und Wirtschaftsverkehr zwingen die Politik zu unpopulären Prioritätensetzungen. Das Wachstum der Städte ins Umland führt zu Metropolregionen, die über mehrere Gebietskörperschaften verteilt sind und nicht mehr ganzheitlich geplant und regiert werden Der knapper werdende Raum führt zu hohen Wohnkosten. Diese drängen Niedrig- und Normalverdiener in die Peripherie der Städte, was zu mehr Berufsverkehr und zu sozialen Spannungen führt.
Urbanisierung führt jedoch auch zu einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen in den ländlichen Regionen. Durch die abnehmende Wohndichte verschlechtern sich die Standortlagen der stationären Händler, wodurch viele Läden nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Vor allem die Zunahme der Leerstände in Klein- und Mittelstädten zeigt auf, dass sich die Versorgungsfunktion der ländlichen Bevölkerung zu einer immer größer werdenden Herausforderung entwickelt. Es ist anzunehmen, dass hier entweder der Online-Handel die Versorgungsfunktion übernimmt oder aber Tankstellenstandorte wieder eine stärkere Versorgerrolle übernehmen werden (Arthur D. Little 2014; Heinemann 2018b; McKinsey Global Institute 2011; Newgeography 2017; United Nations 2017).
Demographische Entwicklungen und Zielgruppen
Der durch die steigenden Lebenserwartungen induzierte demographische Wandel lenkt das Augenmerk auf die „Best Ager“ und deren besondere Bedürfnisse sowie deren Versorgung. Für sie ist Barrierefreiheit sicherlich nach wie vor ein wichtiges, allerdings immer noch unzureichend umgesetztes Thema. Andererseits sind ältere Menschen heute fitter als früher und nutzen auch das Internet. Immerhin ist bei den über 60-Jährigen der größte Zuwachs der Internetnutzung zu beobachten. Wenn mittlerweile über 87 Prozent der Erwachsenen über 14 Jahren regelmäßig das Internet nutzen und 70 Prozent von Ihnen regelmäßig online einkaufen, können diese Zahlen nur durch hohe Relevanz bei den „Best Agern“ zustande kommen. Viele Handelsunter-nehmen haben in Erwartung auf die Überalterung der Bevölkerung allerdings den Blick auf die jungen Kunden, also die Millennials oder Digital Natives, verloren. Diese Zielgruppe, die auch als Generation Y und Generation Z bezeichnet wird, macht rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Sie kauft nach aktuellen Studien gerne im Internet ein. Sie wollen die physische Erfahrung, die ihnen der stationäre Handel bietet, allerdings auch nicht missen. Der Einkaufsbummel in der realen Welt steht also auch bei den Digital Natives hoch im Kurs. Allerdings unterscheiden sich die Erwartungen, die die Millennials an Geschäfte stellen, deutlich von denen der älteren Generation. Der stationäre Handel muss die Erwartungen kennen und erfüllen können, um die wichtige junge Konsumentengeneration nachhaltig an sich zu binden. Denn das Einkaufsverhalten der Millennials ist fast ausschließlich digitalbasiert. Die meisten von Ihnen würden gerne während ihres Einkaufs im Geschäft personalisierte Angebote in Echtzeit auf ihr Smartphone erhalten oder beim Ausprobieren der Produkte stets auf die neueste Technik zurückgreifen können. Für Sie ist das Smartphone ein nicht mehr wegzudenkendes Element des Alltags, vielleicht sogar das Wichtigste. Ohne Smartphone, Apps und Social Media läuft gar nichts mehr. Dabei lassen sie sich gerne durch Empfehlungen von Freunden oder Familienmitgliedern zum Kauf verleiten.Sie sind offen für neue Shopping-Modelle wie zum Beispiel Curated Shopping oder Mietmodelle, automatisierte Nachlieferungsprogramme oder Bestellungen per Sprachsteuerung. In Hinblick auf zukünftige Käufergruppen sollten Händler deswegen auf neue Wege der Kundenbindung setzen sowie ihre Kompetenzen und Methoden mit Blick auf digitales Shopping zwingend überdenken bzw. neu gestalten. Händler können es sich nicht leisten, die Wünsche der jungen Generation zu ignorieren, denn diese bestimmen über die Zukunft des Handels (Bruhn und Heinemann 2013; Consors 2018; Heinemann 2018 a,b).
Marktbezogene Entwicklungen und Wettbewerb
In Hinblick auf die marktbezogenen Veränderungen ist schließlich eine steigende Konzentration und Kooperation zu beobachten. Zu den größten Gewinnern zählen diesbezüglich die großen Online-Händler, die mittlerweile auch enorme Zuwachsraten im Mobile-Commerce realisieren. Dabei handelt es sich überwiegend um internationale E-Commerce-Anbieter wie Amazon und Alibaba, so dass das Online-Wachstum einerseits den internationalen Wettbewerb in der deutschen Handelslandschaft fördert. Andererseits ist E-Commerce aber auch ein geeignetes Instrument zur beschleunigten Internationalisierung in neue Märkte außerhalb Deutschlands. Neben den weiter steigenden Marktanteilen von Discountern und Vertikalen verursachen die Online-Händler einen weiter zunehmenden Preisdruck, der durch die fortschreitende Vertikalisierung von Handelssystemen noch verstärkt wird. Diese äußert sich auf Seiten des Handels in der weiteren Ausweitung der Eigenmarkenanteile, die darüber hinaus zu einer Verschiebung der bisherigen Rollenverteilung zwischen Herstellern und Händlern führt. Die zentrale Herausforderung für alle Handelsunternehmen liegt nun darin, eine entsprechende Wettbewerbsstrategie zu finden, um geeignete Maßnahmen abzuleiten, die es ermöglichen, neu digitale Wettbewerbsvorteile zu generieren.Diesbezüglich ist eine optimale Kombination der unternehmensinternen und -externen Ressourcen sicherzustellen Zu den unternehmensinternen Ressourcen zählen neben den finanziellen und materiellen (z.B. Sortimente) Ressourcen in diesem Zusammenhang vor allem das vorhandene Wissen und Fähigkeiten, wie z.B. das „digitale Know-how“ der Mitarbeitenden. Deswegen kommt neuen Ausbildungskonzepten, die diese neuen Stellenanforderungen berücksichtigen, eine Schlüsselrolle zu. Aber auch Kundendatenbanksysteme, die eine individuelle Kundenansprache ermöglichen, sind bei der internen Ressourcen-Allokation zu berücksichtigen. Im Rahmen der unternehmensexternen Ressourcen ist demgegenüber darauf zu achten, dass das Unternehmen über entsprechende Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs-, Arbeits- und Kapitalmärkten verfügt. Hierzu ist es erforderlich, dass das Unternehmen mit den Anspruchsgruppen in Beziehungen tritt, die über die benötigten Ressourcen verfügen, wodurch ein Einfluss der Umwelt auf die Aktivitäten des Unternehmens entsteht. Diese Anspruchsgruppen lassen sich nach dem Stakeholder-Ansatz in verschiedene Gruppen unterteilen, wie z.B. Gläubiger, Lieferanten, Konkurrenten, Kunden, Staat, Gesellschaft und Mitarbeiter. Den Handelsunternehmen stehen in Bezug auf den Ressourceneinsatz vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, die in einer spezifischen Branchenstruktur zum Erfolg führen. Sei es durch ein qualitativ hochwertiges Sortiment, günstige Preise, modernes und ansprechendes Shop-Design, exklusives Image, Kundenorientierung u.a.m. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie der Ressourceneinsatz zu planen ist, um Wettbewerbsvorteile generieren zu können. Bei der Auswahl der Ressourcen ist grundsätzlich darauf zu achten, dass mit Hilfe des Ressourceneinsatzes ein Leistungsversprechen generiert wird, das ein relevantes Kaufentscheidungskriterium beim Kunden darstellt, und als Geschäftsmodell für das Unternehmen geeignet ist. Es muss vom Kunden deutlich wahrgenommen werden, kaufentscheidungsrelevant sein und von den Konkurrenten schlecht imitierbar sei. Der Standort des Handelsunternehmens spielt beispielsweise für die Kunden nach wie vor eine wichtige Rolle, allerdings in deutlich veränderter Form (Heinemann. So ist auch das Internet zu einem wichtigen Standort geworden, wo Unternehmen präsent sein müssen. Der Standortfaktor alleine reicht jedoch nicht aus. Das Handelsunternehmen benötigt andere Ressourcen, wie z.B. die Systemausstattung, das Sortiment, die Kompetenz der Mitarbeiter usw., um sich weiterhin langfristig von der Konkurrenz zu differenzieren (Boersma 2016, Bruhn und Heinemann 2013; Heinemann 2018a).
Gesellschaftliche und politische Entwicklungen
Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zeichnen sich u.a. bei dem gestiegenen Anteil erwerbstätiger Frauen ab, der sich auch durch den um sich greifenden Fachkräftemangel weiter erhöhen wird. Dies führt dazu, dass das klassische Rollenverständnis nicht mehr gilt, in dem überwiegend die Frauen für die Einkäufe zuständig waren und verlangt von Handelsunternehmen, bei der Ausgestaltung des Angebots verstärkt die Bedürfnisse der männlichen Kunden mit einzubeziehen. Darüber hinaus stellt die Überalterung der Bevölkerung den Handel vor neue Herausforderungen und wird auch längere Arbeitszeiten erforderlich machen, so dass die Konsumenten unter der Woche vermehrt auf längere Öffnungszeiten angewiesen sind, um ihre Einkäufe nach Feierabend zu erledigen. Davon profitiert vor allem der Online-Handel, der keine Öffnungszeiten kennt. Als Folge der digitalen Revolution werden auch neue Fähigkeiten und Qualifikationen erforderlich („Skills“), die in Ausbildungs- und Studienangeboten zu berücksichtigen sind. Der Zugang zu derartigen Angeboten wird auch die Standortqualitäten verändern und zu Verschiebungen führen, die durch die Auswirkungen der Globalisierung und die weitere Verschmelzung des EU-Binnenmarktes sich zusätzlich verändern. Beides wird zu Arbeitsplatzverlagerungen führen, so wie auch das Abwandern von Einzelhandelsumsätzen in das Netz. Die immer noch unzureichende Netzinfrastruktur ist nicht erst seit der digitalen Agenda ein periodisiertes Thema in der Politik. Genauso wie der Datenschutz. Themen wie die DSGVO (Neue Datenschutzgrundverordnung) und deren Umsetzung zeigen allerdings, dass die Politik dabei häufig nicht im Interesse der Bürger und vor allem mittelständischer Unternehmen handelt. Deswegen sind auch Unternehmensgründungen immer noch schwierig in Deutschland. Staatliche Gründungsprogramme und Finanzierungshilfen wie aktuell von der NRW-Landesregierung gehen diesbezüglich in die richtige Richtung. Zugleich werden Politik und Gesellschaft verstärkt auf Nachhaltigkeit achten, um die natürlichen Ressourcen zu erhalten bzw. zu stabilisieren. Nachhaltigkeit wird dabei nicht nur für Produkte, sondern vor allem auch Logistik und Zustellung ein zentrales Thema werden (Bruhn und Heinemann 2013; Consors 2018; DSVGO 2018; Initiative 2018; Startercenter NRW 2018).
Fazit: Handel und Politik in gesellschaftspolitischer Verantwortung
Insgesamt zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Anstrengungen einzelner Initiativen und Unternehmen für sich genommen nicht ausreichen werden, die Herausforderungen von Stadt, Land und Gesellschaft zu meistern. Kommunalverwaltung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Handel, Verkehrsbetriebe sowie Ver- bzw. Entsorgungsbetriebe gehören zusammen mit der Politik und Wissenschaft an einen Tisch. Auch wenn diese Aufgabe mehr als komplex ist, aber nur so können ganzheitliche Konzepte zur nachhaltigen Versorgung der Bevölkerung in den Städten und auf dem Land entwickelt werden. Erforderlich sind regionale Plattformen, mit denen die Entwicklungen der wachsenden Metropolregionen einerseits sowie die ausblutenden Regionen andererseits ganzheitlich koordiniert werden können. Die metropolorientierte Stadtplanung stellt diesbezüglich eine besondere Herausforderung dar, weil sie ein effektives Zusammenwirken aller betroffenen Gebietskörperschaften erfordert. Die in diesem Zusammenhang so häufig beschworene kommunale Selbstverwaltung wird jedoch nur dann zukunftsfähig sein, wenn sie in unseren Metropolregionen ihre Kooperationsfähigkeit unter Beweis stellt. In vielen deutschen und europäischen Städten bzw. Ballungsräumen gibt es bereits Initiativen zur strategischen Optimierung der Versorgungsfunktionen. Städteplaner und Logistiker arbeiten in diesen Projekten gemeinsam an Lösungen, mit denen die spezifischen Anforderungen und Probleme adressiert werden. Auch wenn jede Stadt aufgrund ihrer Besonderheiten ihr maßgeschneidertes Versorgungskonzept braucht, sollte der Blick über die Stadtgrenze hinaus zur Pflichtübung werden. Dabei hilft auch ein sorgfältiges Studium der Modellstädte, die gerade in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kanada und USA entstehen. Masdar ist zum Beispiel ein Stadtbauprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die neue Stadt, die bis ca. 2030 östlich von Abu Dhabi entsteht, soll mit 45.000 Einwohnern starten. Die innovative Stadt soll unter anderem durch den Verzicht auf Autos mit Verbrennungsmotoren und ein engmaschiges öffentliches Verkehrsnetz vollständig CO2-neutral werden. Gesteuert wird die arabische Modellstadt über eine sensorgesteuerte Vernetzung. Google und Microsoft planen bereits Modellstädte in Arizona und Toronto, in denen als Show-Case exemplarisch gezeigt werden soll, was heute bereits technisch möglich ist. Dabei geht es sowohl um Smartifizierung, Rohrsysteme für den Transport von Gütern und Abfall, engmaschige und integrierte öffentliche Verkehrsnetze als auch Shared Economy und CO2-Neutralität. Auch wenn die Erkenntnisse dieser Smart Cities vom Reißbrett sich nicht 1:1 auf die historisch gewachsenen Altstädte Europas anwenden lassen, so bieten diese Projekte doch Inspiration und wertvolle Ideen.
Erfolgskritisch für die Umsetzung ganzheitlicher Versorgungskonzepte wird die Entwicklung standardisierter Bausteine sein, mit denen sich schnell erste Erfolge realisieren lassen. Wenn jede Stadt das Rad neu erfinden will, werden überregionale oder internationale Logistikanbieter nur schwer zu überzeugen sein. So sehr wir in Deutschland und Europa konkrete Projekte vor Ort brauchen, so dringend wird eine Plattform benötigt, in der Best Practice Lösungen ausgetauscht werden. Auch wenn die Versorgung zunächst eine kommunale Angelegenheit zu sein scheint, so sind bei der Koordinierung der Aktivitäten Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände als Partner gefordert.
Dabei ist der Einzelhandel genauso gefragt wie die Politik und Verbraucher. Es muss ein Umdenken in den Köpfen stattfinden, um die Angebotsvielfalt in Deutschlands Städten sowie die Versorgungsrolle auf dem Land zu erhalten (Initiative 2018; Innerstaden-Göteborg 2017; Logistik-Knowhow 2017; MetaPack 2017; Newgeography 2017; United Nations 2017).
Literatur
- Arthur D. Little. (2014). Arthur D. Little, UITP. Future of urban mobility 2.0.
- Bevh (2018). Aktuelle Zahlen zum Interaktiven Handel – bevh-Studie 2017. http://www.bevh.org/markt-statistik/zahlen-fakten/. Zugegriffen: 13. Juli 2018
- Boersma, T. (2016). Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation. In: Heinemann, G., Gehrckens, M., Wolters, U., dgroup (Hrsg.) (2016). Digitale Transformation oder digitale Disruption im Handel? Vom Point-of-Sale zum Point-of-Decision im Digital Commerce. Springer-Gabler. Wiesbaden. S. 509-528.
- Bruhn, M., & Heinemann, G. (2013). Entwicklungsperspektiven im Handel – Thesen aus der ressourcen- und beziehungsorientierten Perspektive. In G. Crockford, F. Ritschel, & U.-M. Schmieder (Hrsg.), Handel in Theorie und Praxis, Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Dirk Möhlenbruch. Wiesbaden: Springer.
- (2018). Konsumbarometer 2018 - Was Millennials vom stationären Handel erwarten. https://www.presseportal.de/pm/78451/3976652.Zugegriffen: 13. Juli 2018
- HDE (2017): Online-Monitor 2017. HDE Handelsverband Deutschland. Berlin
- HDE (2018). Prognose Einzelhandelsumsatz 2018: +2%. https://www.einzelhandel.de/presse/zahlenfaktengrafiken/1022-konjunktur/1892-umsatzentwicklungimeinzelhandelZugegriffen: 13. Juli 2018
- Heinemann, G., Gehrckens, M., Wolters, U., dgroup (Hrsg.) (2016). Digitale Transformation oder digitale Disruption im Handel? Vom Point-of-Sale zum Point-of-Decision im Digital Commerce (S. 1–28). Wiesbaden: Springer-Gabler.
- Heinemann, G. (2017). Die Neuerfindung des stationären Einzelhandels – Kundenzentralität und ultimative Usability für Stadt und Handel der Zukunft. Wiesbaden: Springer-Gabler.
- Heinemann, G. (2018a). Der neue Online-Handel – Geschäftsmodelle, Geschäftssysteme und Benchmarks im E-Commerce (9. Aufl.). Wiesbaden: Springer-Gabler.
- Heinemann, G. (2018b). Die Neuausrichtung des App- und Smartphone-Commerce – Mobile Commerce, Mobile Payment, Social Apps, LBS und Chatbots im Handel. Wiesbaden: Springer-Gabler.
- Initiative (2018). Neue Studie: Innenstädte und Gemeindezentren veröden
Initiative für das Gewerbe nebenan ins Leben gerufen. https://www.presseportal.de/pm/52458/3987481. Zugegriffen: 13. Juli 2018 - Innerstaden Göteborg (2018). Stadsleveransen (http://www.innerstadengbg.se/innerstaden-goteborg/stadsleveransen/). Zugegriffen: 15 April 2018.
- Logistik Knowhow. (2017). Die Letzte-Meile-Logistik im E-Commerce – Herausforderungen und Lösungsansätze (https://logistikknowhow.com/die-letzte-meile-logistik-im-e-commerce-herausforderungen-und-loesungsansaetze/). Zugegriffen: 15. April 2018.
- McKinsey Global Institute. (2011). Urban world: Mapping the economic power of cities.
- (2017). 2017 State of Ecommerce Delivery, Consumer Research Report.
- Newgeography (2017). Demographia World Urban Area, 13th Annual Edition: 2017:04.
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- United Nations. (2017). World Population Prospects – Key findings & advance tables, 2017 Revision.dnemann