Bündelung von Paketsendungen Pro & Contra
Andreas Schumann - Vorsitzender, Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V., BdKEP
Um Logistiksysteme besonders innerhalb und außerhalb von Ballungsräumen effizient betreiben zu können, wird über die Branchengrenzen hinaus immer wieder über die Bündelung von Sendungen diskutiert. Bündelung bedeutet, dass Paketsendungen zusammengeführt werden, die heute auf gleichen Teilstrecken getrennt voneinander befördert oder an gleichen Zieladressen getrennt voneinander zugestellt oder abgeholt werden.
Inhalt
1. Treiber der Diskussion um Bündelung
Hintergrund der Diskussion sind folgende Treiber:
- Geringe Erlöse pro Sendung und hohe Kosten pro Sendung besonders auf der letzten Meile. Die Deckungsbeiträge sind somit niedrig. Die Entlohung von Zustellern ist deshalb gering, der Zeitdruck hoch, es fehlen MIttel für Investitionen.
- Der Verkehr in Städten nimmt zu, es wird immer schwieriger Zustellfahrzeuge effizient und regelkonform zu bewegen und zu parken. Der Ressourcenverbrauch steigt.
- Steigende Sendungsmengen verschärfen die Situation.
Die Herausforderung betreffen maßgeblich die B2C-Zustellung von Sendungen, also die Zustellung von Sendungen aus dem E-Commerce bei Privatpersonen. Oft wird hier pro Zustellvorgang nur eine Sendung zugestellt und Empfänger sind bei der Zustellung nicht anwesend. Bei der Zustellung von Paketsendungen an gewerbliche Empfänger werden in der Regel mehrere Paketsendungen zugestellt und die Empfänger sind innerhalb der bekannten Geschäftszeiten erreichbar.
Im Segment der B2C Sendungen stellen nur wenige Marktteilnehmer - im weiteren Oligopol genannt - signifikante Sendungsmengen zu. Dazu zählen maßgeblich folgende Unternehmen. Es ist davon auszugehen, dass diese Unternehmen 95% der Sendungen zustellen, geschätzte Marktanteile im B2C Segment sind in Klammern eingefügt. (Quelle: eigene Berechnung bzw. Schätzung)
- DHL Paket (ca. 60%)
- Hermes (ca. 20%)
- DPD (ca. 10%)
- Amazon (ca. (5%)
- Andere z.B. UPS, GLS, FedEx (ca. 5%)
2. Szenarien im Kontext Bündelung
Als Szenarien für die Bündelung von Paketsendungen lassen sich unterscheiden:
A) Keine Bündelung
Eine Bündelung von Sendung findet nicht statt, die Paketdienste des Oligopols arbeiten jeweils in der eigenen in sich geschlossenen Wertschöpfungskette mit eigenen geschlossenen Standards.
B) Bündelung bei einem traditionellen Paketdienst ( beispielsweise erzwungen durch Kommunen)
Ein Paketdienste des Oligopols übernimmt die Zustellung der Sendungen innerhalb definierter Gebiete von Kommunen. Die Vergabe der Zustellung erfolgt per Ausschreibung.
C) regional tätige KEP Dienste übernehmen Bündelung
Regional tätige KEP Dienste übernehmen die gebündelte Zustellung der Paketsendungen. Sie bieten jeweils für Ihre Region entsprechende Dienstleistungen an. Versender beauftragen diese KEP Dienste mit der Zustellung direkt, oder sie übernehmen die Sendungen an Sammeldepots, die vom Versender oder Empfänger als Ersatzzustelladresse vorgegeben sind. In diesem Fall ist der Aufbau von Logistik Plattformen denkbar. Solche Plattformen bringen Nachfrage und Angebot so zusammen, dass diese frei interagieren können.d)
D) grosse Versender wie Amazon übernehmen die Bündelung
Amazon baut zunächst Logistikstrukturen für die Zustellung eigner Sendungen auf. Auf diese Systeme werden dann Sendungen von Dritten aufgeschaltet. Die Konsolidierung beginnt dann schon im Amazon-HUB. Dritte könnten über Amazon sehr günstig Sendungen zustellen lassen, wenn Amazon die Sendungen zu Grenzkosten mitnimmt. Ähnliche Strategien hat Amazon schon mit dem Marktplatzmodell, im Warehousing sowie bei den Cloudspeichern umgesetzt.
DHL Paket hat die gebündelte Zustellung von Paketsendungen 2017 in einem Beitrag im Handelsblatt ins Gespräch gebracht. Der Post schwebt vor, dass dies ein Unternehmen des Oligopols übernimmt, idealerweise die Post selbst. Kooperationen mit anderen Dienstleistern sind ausgeschlossen. https://www.verkehrsrundschau.de/nachrichten/post-chef-plaediert-fuer-buendelung-der-paketzustellung-in-den-staedten-2035745.html
Die anderen Marktteilnehmer im Oligopol lehnen die Bündelung von Sendungsmengen kategorisch ab.
Das PRO und CONTRA der Bündelung wird in Publikationen und auf Podien diskutiert. Im Folgenden eine Zusammenfassung der Argumente.
3. Tourenoptimierung & Bündelung
3.1. Contra
Eine Bündelung von Paketen vor der Stadt ist nicht sinnvoll. Zentrale Fahrzeug bringen keine Entlastung.
Paketfahrzeuge sind mit 180 bis 250 Sendungen schon jetzt rappelvoll. Ein typisches Zustellfahrzeug der Klasse 3,5 Tonnen ist bereits sehr gut ausgelastet, so dass eine Umverteilung der Sendungen zwischen den agierenden KEP-Diensten nicht zu einer Verringerung der absoluten Anzahl der Zustellfahrzeuge führen würde.
3.2. Pro
Die Bündelung also Umverteilung der Paketsendungen zwischen den Fahrzeuge führt zu einer Verringerung der gefahrenen Kilometer sowie Parkvorgänge/ Stopps. Die einzelnen Stopps können jedoch länger dauern.
Vergleichende Betrachtung
ohne Bündelung | mit Bündelung | |
5 Fahrzeuge mit je 100 Paketen fahren Anzahl Pakete: 500 Anzahl Fahrzeuge: 5 Gesamte Fahrstrecke: 50 km Anzahl Stopps: 400 Pakete pro Stopp: 1,25 | 5 Fahrzeuge mit je 100 Paketen fahren Anzahl Pakete: 500 Anzahl Fahrzeuge: 5 Gesamte Fahrstrecke: 10 km Anzahl Stopps: 80 Pakete pro Stopp: 6,25 |
Im Hinblick auf eine die Optimierung der bestehenden Touren verändert die Bündelung im angenommen Modellbeispiel die Parameter wie folgt:
- Die Anzahl Pakete sowie die Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge bleibt konstant.
- Die gesamte Fahrstrecke reduziert sich um 80% vom 50 km auf 10 km.
- Die Anzahl der Stopps reduziert sich um 80% von 400 auf 80 Stopps.
- Die Produktivität ausgedrückt in der Anzahl zugestellter Sendungen pro Stopp verfünffacht sich von 1,25 Sendungen/ Stopp auf 6,25 Sendungen/ Stopp.
Die Touren können bei gebündelter Zustellung neu optimiert werden. Dadurch werden erhebliche Vorteile realisiert.
4. kombinierte Zustell- und Abholtouren & Bündelung
Durch Bündelung würden die kombinierten Zustell- und Abholtouren der traditionellen KEP Dienstleister mit den jeweils in sich geschlossenen Prozesslandschaften aufgebrochen.
4.1. Contra
Wenn gemischte Zustell- und Abholtouren aufgebrochen werden, würde das die Anzahl der Zustellfahrzeuge in den Städten erheblich erhöhen, gleichzeitig würde die logistische Effizienz sinken. Deshalb ist die Bündelung nicht sinnvoll.
Gerade die Abholungen sind der "Point of Sale" der traditionellen KEP-Dienste. Das schließt eine horizontale Kooperation aus wettbewerblicher Sicht aus.
4.2. Pro
Auch in einem System mit gebündelten Sendungsströmen können Zustell- und Abholprozesse kombiniert werden. Neben der gebündelten Zustellung mit den unter 1. beschriebenen PRO und CONTRA sind das dann zusätzlich gebündelte Abholtouren. Deren Effizienz steigt nach der gleichen Logik wie in der Zustellung.
Für traditionelle KEP Dienste ist die Abholung mit eigenen Fahrzeugen ein Differenzierungskriterium gegenüber dem Wettbewerb. Der Ausschluß horizontaler Kooperationen aus wettbewerblicher Sicht ist für sie demnach überlebensnotwendig.
Jedoch ist dieser USP grundsätzlich unabhängig von Strategien zur Bündelung von Sendungsströmen. Wenn neue Geschäftsmodelle mit gebündelten Sendungsströmen diesen USP vernichten sollten, dann besteht das Risiko, dass Unternehmen, die nicht mit gebündelten Sendungsströmen arbeiten können, aus dem Markt ausscheiden. Das Argument dient dann dazu, die eigenen Geschäftsmodelle gegen Veränderung zu verteidigen.
5. Scheitern der Ansätze in den 90er Jahren & Bündelung
5.1. Contra
In den 90er-Jahren wurden ähnliche Ansätze unter dem Namen "City-Logistik" getestet und wieder eingestellt. Alle diese Konzepte seien eingestellt worden.
5.2. Pro
Die KEP-Landschaft in den 90ern war eine komplett andere und nicht mit der heutigen vergleichbar. Einige Beispiele zu den Marktbedingungen
- im Vergleich zu heute kaum B2C Sendungen
- geringere Anforderungen an Laufzeiten
- 2018 3,3 fache Paketmenge im Vergleich zu 1995
- Andere Rahmenbedingungen bzgl. Kostendruck, niedrige Produktivitäten in der B2C Zustellung, Personalwachstum, Urbanisierung, demografische Entwicklung, ....
- Software und Hardware weniger weit entwickelt
- Amazon wurde 1994 gegründet, Google 1998 ...
Seit den 90-ern hinzugekommenen haben sich die technischen Möglichkeiten wie bei den Fahrzeugen, Sortiertechnik, Hard- und Software extrem weiter entwickelt. DieSendungsmengen sind stark gestiegenen und steigen weiter, besonders im B2C Bereich. Das Scheitern in den 90ern lässt sich nicht auf heute übertragen. Die Umsetzung gebündelter Sendungsströme muß neu bewertet werden.
6. Haftung bei Schäden & Bündelung
Bei gebündelten Sendungsströmen muß die Haftung für Schäden neu geregelt werden, da mehrere Dienstleister beteiligt sind.
6.1 Contra
In den 90er-Jahren wurden keine Lösungen für die Haftung bei Schäden gefunden. Deshalb ist die Bündelung nicht möglich.
6.2. Pro
Als Lösung für die Haftungsthemen bei Schädenkönnen verschiedene Technologien oder Verfahrensweisen zum Einsatz kommen.
- Fortschritt wie Video Track & Trace,
- Volldatenerfassung
- Blockchaintechnologien
- neue Vertragsgestaltung / Frachtführerwechsel
- RFIDeinsatz & Qualitätsmanagmentsysteme
Haftungsfragen sind auch bei gebündelten Sendungsströmen lösbar.
7. Bereitschaft der Anbieter zur Bündelung
7.1. Contra
Kooperation in diesem stark umkämpften Markt ist nicht gewünscht. deshalb ist eine Bündelung nicht möglich.
7.2. Pro
Die fehlende Bereitschaft ist kein Argument in der Diskussion, ob Bündelung sinnvoll ist oder nicht. Sofern Bündelung sinnvoll ist und von den traditionellen Marktteilnehmern nicht durchgeführt wird, werden diesen aus dem Markt ausscheiden und neue Anbieter übernehmen die Bündelung der Paketsendungen.
8. Rahmenbedingungen für Depots & Bündelung
8.1. Lage
8.1.1. Contra
Ein weiteres Argument gegen die Bündelung ist die Lage der Depots der traditionellen KEP-Dienste, die sich teilweise weit außerhalb der Stadtzentren befinden. Für eine Sendungsbündelung wären zusätzliche Umschlagspunkte erforderlich, die es als großflächige Logistikimmobilien im dicht besiedelten urbanen Raum aber nicht gibt.
8.1.2. Pro
Ursache für die Lage der Depots sind die strategischen Entscheidungen der traditionellen KEP-Dienste. Sofern diese Entscheidung sich heute als nachteilig erweist, ist dieser Umstand kein Argument dafür dass die gebündelte Zustellung von Sendungen nicht sinnvoll ist.
Zukünftig wird die Bündelung der Sendungen in diesen Depots selbst stattfinden. Es werden keine exklusiv von einzelnen Carriern betriebenen Depots mehr benötigt, sondern carrierübergreifend arbeitende Depots. Sie sind bei gebündelten Sendungsströmen nicht mehr wirtschaftlich. Dort werden die Sendungen mehrerer Carrier gebündelt. Diese Depots werden nicht zusätzlich notwendig sondern sie ersetzen die heutigen Carrier-Depots.
Auch die Microdepots innnerhalb der Regionen sind carrierübergreifend. So könne Flächen effizient genutzt werden. Microdepots können stationär oder mobil eingerichtet werden.
8.2. Zusätzliche Schwerlastverkehre zu den Mikrodepots & Bündelung
8.2.1. Contra
Bündelung wird zusätzliche Schwerlastverkehre von den Depots der Carrier zu den Umschlagspunkten in den Innenstädten generieren. Deshalb ist die Bündelung nicht sinnvoll.
8.2.2. Pro
Bündelung in den zentralen Depots der Regionen vermeidet Schwerlastverkehre. So fahrt nicht mehr jeder Carrier einzeln seinen Umschlagpunkt an, sondern diese Transporte können carrierübergreifend optimiert werden. Das wird beim Projekt KOMODO in Berlin sichtbar. Hier fährt jeder Carrier sein Micro-Depot mit eigenen Fahrzeugen an. Effizient wäre es, wenn schon das Microdepot mit gebündelten Paketsendungen beliefert wird.
9. Differenzierte Dienstleistungen und IT Services
9.1. Contra
Die traditionellen KEP-Dienste differenzieren sich stark über ihr Dienstleistungsangebot und die verfügbaren IT-Services für Kunden. Auch deshalb scheitert bei reinen Zustelltouren die horizontale Kooperationen, sowohl an der Komplexität als auch der dann allumfassenden Dienstleistung.
9.2. Pro
Das Oligopol hat über „differenzierte Dienstleistungsangebote und IT-Services“ proprietäre Lösungen am Markt etabliert. Für den Versender und Empfänger bedeutet das, dass sie in den Dienstleistungs- und IT Landschaften „gefangen“ sind. Der Anbieterwechsel sowie der Eintritt neuer Marktteilnehmer wird so sehr erschwert und ist kostenintensiv.
Bündelung von Sendungen über Systeme mit proprietären Standards hinweg sind ebenfalls nicht möglich. Das ist korrekt. Es ist jedoch kein Argument gegen die Bündelung von Sendungen, sofern diese Vorteile bringt. Das Argument dient dann lediglich dazu, die eigenen Geschäftsmodelle gegen Veränderung zu verteidigen. Sofern Bündelung sinnvoll ist und von den traditionellen Marktteilnehmern nicht durchgeführt wird, werden diesen aus dem Markt ausscheiden und neue Anbieter übernehmen die Bündelung der Sendungen.
Sofern es gelingt, offene Standards für Sendungsnummern und Datenaustauschformate zu etablieren, können die Effizienzvorteile realisiert werden. Bündelung würde auch den Anbieterwechsel vereinfachen und die Vielfalt der Anbieter steigern.
10. Materialsammlung
Als Grundlage bzw. zur weiteren Information der Ausführungen sind folgende Quellen geeignet:
Logistikexperte Bosselmann: "Autonome Fahrzeuge werden große Rolle spielen" - Etailment 20. September 2018
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CDU will weniger Lieferwagen in Frankfurter Innenstadt - Hessenschau 15. August 2018
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Vernetzung vor dem Kollaps? Etailment 08. Januar 2018
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What cities want - Vier Szenarien, die neugierig auf die Citylogistik von morgen machen (PDF) - Volkswagen Nutzfahrzeuge und MAN Truck & Bus
Szenario 1 und 2 sind interessant für das Thema Bündelung
Szenario 1: Das Logistik-Stadtwerk
Ein kommunal betriebener Gemeinschaftspaketdienst übernimmt den innerstädtischen Lieferver-kehr für Pakete, Waren und Lebensmittel. Innerhalb der Städte fahren damit insgesamt weniger, dafür aber maximal beladene Transporter.
Szenario 2: Die Logistik-Kooperative
Alle Logistikdienstleister arbeiten in einer freiwilligen Kooperation zusammen und beteiligen die Bevölkerung an den Lieferprozessen, etwa durch Sammelbestellungen. Die Städte schaffen dafür attraktive Rahmenbedingungen.