Ein „Weiter so“ reicht nicht! - Herausforderungen

Andreas Schumann - Vorsitzender, Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V., BdKEP


Inhalt

1. Herausforderung: Produktivität auf der letzten Meile

Die Produktivität auf der letzten Meile wird überwiegend durch die Maßgrößen zurückgelegte Wegstrecke pro Sendung sowie Anzahl zugestellter Sendungen und Dauer pro Stopp beeinflußt. In der B2B Zustellung werden durch alle Dienstleister i.d.R. mehrere Sendungen pro Stopp zugestellt. Die Adressaten sind überwiegend in zentralen Lagen oder Gewerbegebieten leicht zu finden. Die Zustellung kann beim Empfänger selbst im ersten Zustellversuch erfolgen und die Produktivität ist relativ hoch.

Anders im B2C Segment, hier ist die Produktivität deutlich geringer. Empfänger verteilen sich über die gesamte Region, besonders im ländlichen Raum werden vergleichsweise lange Wegstrecken zwischen den Stopps zurückgelegt. Pro Stopp werden häufig nicht mehr als 1-2 Sendungen zugestellt. Empfängeradressen sind schwerer zu finden als im B2B Segment. Empfänger wohnen in Hinterhäusern oder oberen Etagen ohne Fahrstuhl oder sind bei der Zustellung nicht zu Hause. Die Suche nach Ersatzempfängern, Zweitzustellversuche oder die Hinterlegung in Paketshops benötigen zusätzliche Zustellzeit pro Stopp. Empfängerverfügungen bezüglich des Zustellzeitfensters verhindern die optimale Routenplanung für die Zustellung.

Daraus resultiert im stark wachsenden Segment der B2C Sendungen deutlich schlechtere Produktivitäten als bei B2B Sendungen. In Kombination mit den extrem niedrigen Stückerlösen realisieren die KEP Dienste in diesem Segment geringe oder keine Deckungsbeiträge. Die Vergütung der KEP Unternehmen und damit deren Arbeitnehmer/innen auf der letzten Meile ist kaum auskömmlich. Einzig die Deutsche Post/ DHL kann über den ihren hohen Marktanteil sowie die Kombizustellung zusammen mit Briefsendungen zufriedenstellende Margen erwirtschaften.

2. Herausforderung: Arbeitskräfte

Der allgemeine Arbeitskräftemangel macht sich in der KEP Branche stark bemerkbar. Die vergleichsweise anstrengende körperliche Tätigkeit oft unter Zeitdruck, der direkte Empfängerkontakt sowie die in Ballungsräumen oft angespannte Verkehrssituation erschweren es zusätzlich, ausreichend Arbeitnehmer/innen zu finden. Vor dem Hintergrund des prognostizierten anhaltend starken Anstiegs der Sendungsmengen ist bisher nicht abzusehen, wie der Arbeitskräftebedarf gedeckt werden kann.

3. Herausforderung: Infrastruktur

Schnelle und präzise Zustellung von Paketsendungen sind die Schlüsselanforderungen der Empfänger an die Serviceangebote der KEP Dienste. In Kombination mit steigenden Sendungsmengen und dem Einsatz neuer Technologien wie Lastenräder steigt die Nachfrage nach KEP Logistikflächen in die Innenstädte. Dazu gehören Standorte für Microdepots genauso wie Paketshops, Standorte für Paketboxen sowie Kurzzeitparkmöglichkeiten für die KEP Fahrzeuge während der Zustellung.

Mit diesen Anforderungen konkurriert die KEP Branche neben Fußgängern, anderen Wirtschaftsverkehren, dem Fahrrad- und Autoverkehr und dem ÖPNV um knappe Verkehrsflächen. Zusätzlich erschweren Wohnungsmangel und steigende Gewerbemieten die Situation.

4. Herausforderung: Klima- und Umweltschutz

Klima- und Umweltschutzziele setzen weitere Restriktionen für die KEP Branche. Entwicklungen in Europa, Bund, Ländern und Kommunen und Selbstverpflichtungen von KEP Unternehmen verändern die traditionellen Prozessabläufe und eingesetzte Technologien. Dadurch, dass viele Entwicklungen in diesen Segmenten letztendlich stark kommunal getrieben sind, zeichnet sich eine vielfältige Landschaft kommunaler Regulierungen und Förderungen. Ab dazu gehören Zufahrtsbeschränkungen genauso wie die Förderung von Lastenrädern oder Elektromobilität. Hohe Investitionssummen und mit den neuen Technologien einhergehende neue Anforderungen an Personal und Prozesse stellen die KEP Unternehmen in diesem extrem margenschwachen Geschäft vor Herausforderungen. (siehe Kapitel Nachhaltigkeit)

5. Produktivitätssteigerung als wichtiges Handlungsfeld

Die Lösungen für die beschriebenen Handlungsfelder sind voneinander abhängig. Zur Bewältigung der steigenden Sendungsmengen kommt jedoch der Produktivitätssteigerungen eine zentrale Rolle zu. Produktivitätssteigerungen können Lösungen in den anderen Handlungsfeldern verstärken oder überhaupt erst ermöglichen. Mengenkonsolidierung in der Zustellung beispielsweise steigert die Anzahl der zugestellten Sendungen pro Stopp. Dadurch kann der Deckungsbeitrag steigen und der Einsatz neuer Technologien, wirtschaftlich werden.

Produktivitätssteigerungen führen zu veränderten Anforderungen an Arbeitskräfte und zur Verringerung des Arbeitskräftebedarfs pro zugestellter Sendung. Sofern neue Technologien, beispielsweise Lastenräder zur Produktivitätssteigerung eingesetzt werden, können neue Personengruppen, in diesem Fall ohne Führerschein, erschlossen werden. Produktivitätssteigerungen können zu steigenden Deckungsbeiträgen führen, die wiederum eine attraktivere Entlohnung von Arbeitskräften eingesetzt werden können.

Produktivitätssteigerungen sollten so realisiert werden, dass sich die Emmissionen pro Sendung reduzieren. Nur dann kann es gelingen, dass die Emmissionen trotz stark steigender Sendungsmengen insgesamt gesehen deutlich weniger steigen. Gleiches lässt sich auf die Infrastruktur übertragen. Diese Effekte sind deutlich weniger stark, wenn die traditionellen Zustellprozesse beibehalten und beispielsweise nur die zum Einsatz kommenden Fahrzeuge ausgetauscht werden.


6. Ein „Weiter so“ reicht nicht! - Optimierung versus Reorganisation

Zur Bewältigung der Herausforderungen verfolgen die Marktteilnehmer grundsätzlich zwei Strategien: Optimierung bestehender Prozesse/ Services versus Reorganisation bzw. Neuentwicklung. Die Digitalisierung in anderen Branchen ist geprägt durch die radikale Reorganisationen von Prozessabläufen und Produktneuentwicklungen. Unternehmen, die der Digitalisierung mit der Optimierung bestehender Prozesse begegnen, gehören hier nicht zu den Marktführern.

Die Reorganisation der Prozesslandschaften kann eng mit der Umsetzung von Plattformstrategien zusammenhängen. Als Plattformen bezeichnet man Geschäftsmodelle, die sich nicht auf das Management einer Wertschöpfungskette, sondern auf die Verknüpfung von Marktakteuren spezialisieren. Plattformen bringen Nachfrage und Angebot so zusammen, dass diese frei interagieren können. Im Kapitel "Plattformstrategien für die Logistik" sind Informationen zu möglichen Strategien bei der Umsetzung solcher Plattformstrategien zusammengestellt.