Von Berlin bis München: Falsche Verkehrswegeplanung führt zu Lieferstaus im Onlinehandel

Christoph Wenk-Fischer - Hauptgeschäftsführer- Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. - bevh 


Das ungebrochene Wachstum des E-Commerce verändert nicht nur den Takt der Handelslandschaft, sondern auch den des Paketmarktes.

Als Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. sehen wir uns in der Verantwortung mögliche negative Auswirkungen steigender Paketmengen so gering wie möglich zu halten. Im Hinblick auf heftige Kritik gegenüber des Online-Handels möchten wir aber auch zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen. Dazu haben wir in einer unabhängigen Studie erstmals das Verkehrsaufkommen des Individualverkehrs, des gewerblichen Lieferverkehrs und die Lieferverkehre der Paketdienste dargestellt.

Ergebnis: Selbst wenn die Anzahl der Paketsendungen durch den Onlinehandel sich verdoppelt, führt das nicht zwangsläufig zum Verkehrsinfarkt. Eine Untersuchung der Ballungsräume Hamburg, Berlin, Frankfurt, Düsseldorf und München zeigt, dass die Lieferungen von Onlinebestellungen nur einen marginalen Anteil am Verkehr einnehmen. Im Mittel sind es nur 0,1 Prozent des Verkehrs pro Quadratkilometer. Doch der entlastende Effekt einer Bündelung von durchschnittlich 150-170 Paketen pro Lieferfahrzeug wird durch ein Straßennetz ohne planerische Berücksichtigung von Zustellverkehren zunichte gemacht. Darunter leidet nicht zuletzt auch der stationäre Einzelhandel, der für einen vier Mal so hohen Anteil an Lieferverkehren im Straßenbild steht.

Der Großteil der untersuchten Verkehrsströme entfällt erwartungsgemäß auf den Individualverkehr. Dessen Anteil schwankt, unter anderem infolge der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte in den untersuchten Städten, geringfügig zwischen 98 und etwas über 99 Prozent. An zweiter Stelle folgt die Belieferung des Einzelhandels, die für 0,4 bis 1 Prozent der Verkehre in den Ballungsräumen steht. Demgegenüber werden durch Lieferungen des Onlinehandels an Verbraucher lediglich rund 0,1 Prozent der Verkehre pro Quadratkilometer verursacht. In keiner der untersuchten Städte beträgt dieser Wert mehr als 0,14 Prozent des Gesamtverkehrsaufkommens - Dabei ist Berlin der Spitzenreiter. In diese Zahlen sind die Retoursendungen bereits eingerechnet.

Diese Zahlen zeigen: Es braucht einen verkehrspolitischen Neustart in der Diskussion um den vermeintlichen Lieferkollaps. Obwohl oft etwas anderes behauptet wird: Der Einfluss des E-Commerce auf die Verkehrsdichte in deutschen Großstädten ist marginal. Auch an Spitzentagen im Weihnachtsgeschäft. Er kann sogar helfen, den Individualverkehr zu verringern. Was aber zwingend nötig ist, ist eine Quartiersplanung, die konsequent durch Lieferzonen eine Zustellung ohne Behinderung des Verkehrs möglich macht.

Im Rahmen der Untersuchung hat die auf Kurier-, Express-, Paket- und Postzustellung spezialisierte Hamburger Unternehmensberatung MRU GmbH im Auftrag des bevh die Bestellungen aus den genannten Ballungsräumen und die dadurch entstehenden Lieferverkehre mit dem gesamten Straßenverkehr und einzelnen Segmenten verglichen. Als ein Verkehr wird eine abgeschlossene Fahrt betrachtet – im Fall des B2C-Lieferverkehrs also von der Abfahrt bis zur Rückkehr ins Zustellzentrum.

Eine im Januar veröffentlichte Vorstudie hatte am Beispiel der Hansestadt Hamburg erstmals gezeigt, dass die tägliche Verkehrsbelastung deutlich stärker von B2B-Lieferverkehren für stationären Einzelhandel und Gastronomie beeinflusst wird, als von Paketlieferungen aus dem Onlinehandel an Endkunden. Dies bestätigt sich für alle untersuchten Ballungsräume:

Während die Verkehrsdichte – gemessen als Zahl der Verkehre pro Tag und Quadratkilometer – in den vier untersuchten Städten erheblich variiert (Berlin: 1.402, Frankfurt: 1.487, Düsseldorf: 2.268 und München: 3.203), schwanken die Anteile der untersuchten Verkehrsströme nur geringfügig. Insofern ergibt sich insgesamt ein einheitliches Bild in Hinblick auf die Verteilung der Fahrten je Quadratkilometer in deutschen Großstädten.

In absoluten Zahlen gerechnet, steht Berlin mit 1,9 durch Onlinebestellungen ausgelösten Verkehren pro Tag und Quadratkilometer an zweiter Stelle, hinter München mit 2,2 B2C-Lieferverkehren pro Tag und Quadratkilometer. Frankfurt folgt mit 1,4 Verkehren, Düsseldorf erweist sich mit 1,3 E-Commerce-induzierten Verkehren pro Tag und Quadratkilometer als Schlusslicht der untersuchten Städte.

Der Anteil der durch B2B-Paketlieferungen induzierten Verkehre liegt im Mittel ebenfalls bei knapp 0,1 Prozent. Insgesamt, also B2C + B2B, liegt der Anteil der Paketlieferverkehre an den Abfahrten pro Quadratkilometer und Tag in den untersuchten Städten bei rund 0,2 Prozent.

Die Daten zeigen, dass die durch den E-Commerce (B2C) ausgelösten Lieferverkehre nur einen äußerst geringen Anteil am Verkehrsaufkommen haben und diese somit nicht primär ursächlich für die zunehmend angespannte verkehrliche Situation in Großstädten sind.


Einfluss von Carsharing & Co

Carshharing hat – vergleichbar zu den ursprünglich für Hamburg erhobenen Daten – bei einem geringen Anteil eine relative hohe Varianz. Dies ist unter anderem auf die unterschiedlichen Präsenzen von Anbietern in den Ballungsräumen zurückzuführen. In Berlin, wo Kunden auf die größte Flotte an sogenannten Free-Floatern zurückgreifen können (rund 2.500 Fahrzeuge), wird das Angebot am intensivsten genutzt. Während Carsharing in Berlin einen Anteil von 0,4 Prozent hat, liegt dieser in den anderen untersuchten Räumen bei lediglich 0,1 bis 0,2 Prozent.

Die hohen Schwankungen sind zum einen ein Resultat eines stark divergierenden Nutzugsverhaltens sowie unterschiedlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, aber auch der Struktur der Städte (wie beispielsweise deren Bevölkerungsdichte).