Arbeitskräftemangel
Kratz, Bernd -Â Inhaber der EMA GmbH -Â Gesellschafter des Instituts des Interaktiven Handels GmbH - IDIH
Die ungebremste Entwicklung im eCommerce führt zum Arbeitskräftemangel auch im gewerblichen Bereich – Der Einsatz von Robotik ist aber nicht die kurzfristige Lösung
Der eCommerce entwickelt sich ungebremst – fĂĽr die nächsten Jahre werden ein jährliches Wachstum in Deutschland von 10 bis 12 Prozent prognostiziert – und nun kommen mit JD.com und Alibaba auch noch Giganten aus China nach Europa. Neben einem sehr breiÂten Produktspektrum und gĂĽnstigeren Preisen erklärte der Vorstand von JD ĂĽber die konÂkrete Strategie fĂĽr den europäischen Markt,  dass die Logistik effizienter und billiger als Amazon werden solle. Schneller und effizienter als Amazon?!? Dabei hat Amazon seine „Paketfabriken“ bereits im Detail optimiert und stellt in Deutschland vereinzelt bereits mit eigener Kurierflotte zu – teilweise sogar „Same Day“.
Die Deutsche Post AG gab kĂĽrzlich einen deutlichen Gewinneinbruch bedingt durch die Brief/Paketsparte in Deutschland bekannt;  Hermes fĂĽhrte im Weihnachtsgeschäft 2017 „Paket-Obergrenzen“ ein, weil die Paketflut nicht mehr zu beherrschen war. Die HerausÂforderung sind 3,5 Milliarden Pakete in Deutschland mit einer erwarteten Verdoppelung in 10 Jahren.
Hat die Branche diesen Trend zu spät erkannt? Wurden in der Vergangenheit Maßnahmen nicht oder zu spät eingeleitet und Investitionen zurückgehalten? Nicht nur in der KEP-Branche, sondern auch bei den Logistikzentren der eCommerce-Unternehmen bedeuten 10 Prozent jährliches Umsatzwachstum zunächst einmal einen Bedarf von 10 Prozent mehr Logistikern – woher nehmen?
Volkswirtschaftlich positiv: In den letzten Jahren hat sich die Arbeitslosenquote tendenziell nur in eine Abwärtsrichtung bewegt und fĂĽhrt bereits seit längerem zu einem zunehmenÂden Mangel an qualifizierten Fachkräften. Ein Abwärtstrend der prozentualen Quoten von 8 auf 5,5 Prozent in den letzten 10 Jahren scheint auf den ersten Blick nicht so besorgnisÂerregend. Doch absolut gesehen reduzierten sich die Arbeitslosenzahlen in genau diesem betrachteten Zeitraum von 3,8 Millionen auf nunmehr ca. 2.2 Millionen: Das bedeutet ĂĽber 1 Million Arbeitslose weniger am deutschen Markt binnen 10 Jahren - und fĂĽr das kommende Jahr wird ein weiterer RĂĽckgang erwartet.
Was auf den ersten Blick als eine positive Entwicklung wirkt – und von der Politik auch stets als ihren Erfolg dargestellt – fĂĽhrt zu einem signifikanten Arbeitskräftemangel. Diese Entwicklung lässt sich mittlerweile nicht nur auf die Fachkräfte begrenzen, sondern insbeÂsondere in der Logistik mit den kontinuierlichen Mengensteigerungen, die vorwiegend durch den eCommerce / OmniChannel hervorgerufen werden, resultiert fehlendes Personal auch im gewerblichen Bereich.
In den 90er Jahren mit Zeiten höherer Arbeitslosenquoten wurde die Politik der „FrĂĽhÂrente“ propagiert: Ă„lteren Mitarbeitern boten die Unternehmen ein frĂĽhzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben an mit geringen finanziellen EinbuĂźen. DafĂĽr ĂĽberÂnahmen jĂĽngere und körperlich belastbarere Menschen die anstrengenden Tätigkeiten in der Logistik – eine damals sicherlich sinnvolle politische Entscheidung.
Später bis 2010 wurden dann, finanziell unterstĂĽtzt von der Agentur fĂĽr Arbeit, die AnÂgebote einer „Altersteilzeit“ offeriert: Das Altersteilzeitgesetz hatte das Ziel der Förderung eines gleitenden Ăśbergangs von Arbeitnehmern ab 55 Jahren in den Ruhestand – und das allerdings in Zeiten absehbarer sinkender Arbeitslosigkeit. Mitarbeiter lieĂźen sich ĂśberÂstunden nicht auszahlen oder wandelten diese in Freizeit um, sondern diese MehrarbeitsÂstunden wurden auf Konten angesammelt. Und in den nachgelagerten Zeiten des höheren Arbeitskräftebedarfs in der Logistik, stehen diese Mitarbeiter nicht mehr zur VerfĂĽgung: Die Ăśberstundenkonten werden in einen frĂĽhzeitigen Ruhestand umgewandelt.
Spätestens ab 2010 hätte jeder Unternehmenslenker erkennen mĂĽssen, dass die seit Jahren prognostizierte „Vergreisung“ der Gesellschaft die ersten negativen Resultate bringt. Die Unternehmenspolitik verstärkter Aktivitäten in der Bereitstellung von zusätzÂlichen Ausbildungsplätzen wäre angebracht gewesen, jedoch kaum realisiert. Dieses VerÂsäumnis fĂĽhrt aktuell nun dazu, dass dem Markt nicht genĂĽgend fachlich ausgebildete Menschen zur VerfĂĽgung stehen und Unternehmen nun diverse Zugeständnisse eingehen mĂĽssen, um vakante Facharbeiterstellen besetzen zu können. DarĂĽber hinaus bleiben derÂzeit auch noch zahlreiche Ausbildungsstellen unbesetzt, so dass in absehbarer Zeit keine Trendwende erkennbar ist.
Was bedeutet diese Entwicklung und Situation fĂĽr die Logistik?
Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, werden einzelne Funktionen in den LogistikÂzentren automatisiert. Eine adäquate Technik hat sich am Markt etabliert und auch sinnÂvolle Einsätze von Robotik oder die Kollaboration von Menschen und Robotern sind nachÂweislich möglich. Bei der Automatisierung einzelner Prozesse ist jedoch auf den GesamtÂablauf und die Integration neuer Technologie ein hohes Augenmerk zu richten – hier werden noch immer gravierende Fehler gemacht. In diesem Zusammenhang gilt es, zunächst einmal die logistischen Prozesse ĂĽbergreifend neu zu gestalten und zu optimieÂren. Die Automatisierung oder die Beschleunigung eines einzelnen Prozesses ohne proÂfessionelle Integration in die gesamtumfängliche Peripherie bringt oftmals nicht die erwarÂteten Ergebnisse.
Das fĂĽr die nächsten Jahre prognostizierte insbesondere durch den eCommerce / OminChannel hervorgerufene weitere Mengenwachstum sowie die kritische Situation am Arbeitsmarkt wird eine Automatisierung in der Supply Chain unabdingbar machen. In diversen Projekten haben wir jedoch erkannt, dass wir mit vorangestellten detaillierten Analysen und zunächst einmal einem Relaunch der logistischen Prozess bereits beachtliche RationalisieÂrungspotentiale heben konnten. Damit gewinnen die Verantwortlichen der Logistik auch in den aktuell zeitkritischen Situationen etwas Luft und einen längeren Planungshorizont, um die dann folgende Integration von Automatisierung und Robotik konkret planen zu können und negative Resultate durch SchnellschĂĽsse zu vermeiden.